Donnerstag, 17. November 2016

Anmerkungen zum Beschluss Z3-3-3194-1-28-07/16 der Vergabekammer Südbayern vom 30.8.2016

Die pauschale Kritik und die erheblichen Zweifel der Vergabekammer Südbayern in ihrem Beschluss vom 30.8.2016 (Z3-3-3194-1-28-07/16) an der gängigen Interpolationsmethode sowie der gängigen Preisquotientenmethode hat Verwirrung und Verwunderung in der Vergabepraxis erzeugt und zu vielen Anfragen von Vergabepraktikern an mich geführt.

Als Autor des Buchs "Bewertungskriterien und Bewertungsmatrizen", sowie als Diplom-Mathematiker erlaube ich mir die folgenden Anmerkungen zum Beschluss Z3-3-3194-1-28-07/16 der Vergabekammer Südbayern. Im Detail nachzulesen:
  1. Schäffer/Ferber. Zur (Un-)Zulässigkeit gängiger Wertungsmethoden, Vergabe Fokus 6/2016.
  2. Ferber. Vor- und Nachteile verschiedener Wertungssysteme, Vergabe Fokus 6/2016.
  3. Ferber. Das Rätsel „Preis-Leistungs-Verhältnis", Vergabe Navigator, Sonderheft 2016.
  4. Ferber. Was bedeutet „Preis-Leistungs-Verhältnis“ im Vergaberecht, blog.cosinex.de, 15.11.2016.  
  5. Ferber. Die Crux mit den Noten - Der Einfluss von Notenskalen auf das Zuschlagsergebnis, Vergabe Navigator, Heft 6/2016.
  6. Ferber in: Müller-Wrede, Malte (Hrsg.). VgV Kommentar (ISBN 978-3-8462-0556-3), 01/2017, § 58 Abs. 2 S. 1 VgV.
Im Folgenden möchte ich meine wichtigsten Aussagen dazu zusammenfassen und verweise auf die entsprechenden Zeitschriftenaufsätze bzw. mein Buch Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren.
  1. Die pauschale Kritik und die erheblichen Zweifel der Vergabekammer Südbayern an Bewertungsmethoden, bei denen eine Umrechnung des Angebotspreises in Preispunkte erfolgt (Bewertungsklasse III,  Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren S. 119ff.), wäre analog auf die Bewertungsmethoden der Bewertungsklasse IV (gewichtete Richtwertmethoden,  Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren S. 119ff.) übertragbar. 
  2.  Den Begriff des Preis-Leistungs-Verhältnisses, wie von der Vergabekammer Südbayern gefordert, sehr streng mathematisch als Quotienten aus dem Angebotspreis und der erreichten Leistungspunktzahl auszulegen, hätte erhebliche Konsequenzen auf die Ausschreibungspraxis. Denn dann wäre eine von 50% Preis und 50% Leistung abweichende Gewichtung nicht mehr praktikabel anwendbar.
  3. Die von der VK Südbayern aufgeführten Beispiele übersehen, dass die kritisierten Effekte durch das Verwenden von Mindestleistungspunktzahlen und Preisobergrenzen abgemildert bzw. ausgeschlossen werden können. Die Angabe von Mindestleistungspunktzahlen schützt vor leistungsschwachen Angeboten, eine Preisobergrenze schützt vor sehr leistungsstarken, aber sehr teuren Angeboten. 
  4. Die von der VK Südbayern zitierten konstruierten Beispiele sind im vorliegenden Fall überhaupt nicht allgemein anwendbar.  Einzelne Beispiele führen in der Regel nicht zu einer allgemeingültigen Aussage.
  5. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Um ein wirkliches Verständnis der Eigenschaften der Bewertungsmethoden zu erhalten, benötigt man eine grafische Veranschaulichung. Diese kann man durch die sogenannten Preis-Leistungsdiagramme bzw. gewichteten Preis-Leistungsdiagramme erhalten. Mit diesen Diagrammen sind dann auch Beispiele konstruierbar, die nicht auf Einzelfälle beschränkt sind.
  6. In vielen Ausschreibungssituationen werden bzw. können Kriterien nur mit einer Ordinalskala  bewertet werden. Bei der Ordinalskala gibt es zwar eine natürliche Rangfolge, über die Abstände zwischen den Rangplätzen kann aber keine Aussage getroffen werden. Mithin weisen die so ermittelten Leistungspunktzahlen im Allgemeinen ein nichtlineares Verhalten und damit auch kein proportionales Verhalten auf. Auch die einfache Richtwertmethode (Quotient aus Leistungspunkten und Angebotspreis) weist in solchen Fällen ein nichtlineares Verhalten auf. (Was bedeutet „Preis-Leistungs-Verhältnis“ im Vergaberecht, blog.cosinex.de, 15.11.2016.). 
  7. Die generelle Kritik der Vergabekammer Südbayern an der Preisquotientenmethode ist der nichtlineare Zusammenhang zwischen Leistung und Preis. Fraglich ist jedoch, ob ein nichtlinearer Zusammenhang gleich Unwirtschaftlichkeit bedeutet. Der Begriff der Wirtschaftlichkeit ist ein weiter Begriff, und der Zusammenhang zwischen Leistung und Preis ist nicht immer proportional bzw. linear. Je nach Zusammenhang kann es gerade sinnvoll sein, von einer linearen Betrachtungsweise bewusst abzuweichen, um die Wirtschaftlichkeit zu bestimmen. Durch das Eingrenzen des Preis- und Leistungsbereichs erreicht man auch hier eine Stabilität in den Bewertungsmethoden und nähert sich übrigens wieder der Linearität an. Eine Mindestleistungspunktzahl von 70-75% der maximalen Leistungspunktzahl schließt leistungsschwache und damit sehr billige Angebote aus, die dann den Preisterm Pmin/P massiv stören könnten. Auch diese Methode aus der Bewertungsklasse III ist in der Vergabepraxis unter Berücksichtigung der aufgezeigten Randbedingungen eine stabile Bewertungsmethode.
  8. Durch die Verwendung einer Ordinalskala kommt es in der Regel immer zu einer Abweichung der gewählten Gewichtung. D.h. auch bei der einfachen Richtwertmethode kommt es zu einer Veränderung der fixen 50%/50%-Gewichtung.
  9. Im Gegensatz zu der sehr engen Auslegung der Vergabekammer Südbayern kann der Begriff Preis-Leistungs-Verhältnis als übergeordneter Begriff für das wirtschaftlich günstigste Angebot verstanden werden, wenn Preis und Leistung bewertet werden sollen. Er findet sich auch so beschrieben im Erwägungsgrund 89 der Richtlinie 2014/24/EU. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist dann letztendlich, wie im Gabler Wirtschaftslexikon beschrieben, das subjektive Empfinden über die Angemessenheit eines Preises im Vergleich zur Leistungsstärke des Angebots.
    Der Begriff "Preis-Leistungs-Verhältnis" muss sich dann nicht nur auf Formeln beschränken, die einen Quotienten aus Preis und Leistung eines Angebots betrachten.
  10. Die Wahl und die Anwendung von Notenskalen wirkt sich in der Regel wesentlich stärker auf das Zuschlagsergebnis aus als die von der Vergabekammer Südbayern kritisierten Effekte bei der Interpolationsmethode und der Preisquotientenmethode.
  11. Die von der Vergabekammer Südbayern kritisierten Bewertungsmethoden wie z.B. die gängige Interpolationsmethode (der günstigste Angebotspreis erhält die maximale Preispunktzahl, ein fiktives Angebot mit einem Angebotspreis vom Zweifachen des günstigsten Angebotspreises erhält 0 Punkte, dazwischen wird linear interpoliert), sowie das Verhältnissetzen der Angebotspreise (Preisquotientenmethode) sind unter Vorgabe von Mindestleistungspunktzahlen und Preisobergrenzen im Allgemeinen stabile und anwendungstaugliche Bewertungsmethoden und stehen nicht im Widerspruch zum Begriff "Preis-Leistungs-Verhältnis".
Literaturhinweise:
  1. Ferber in: Müller-Wrede, Malte (Hrsg.). VgV Kommentar (ISBN 978-3-8462-0556-3), 01/2017, § 58 Abs. 2 S. 1 VgV.
  2. Schäffer/Ferber. Zur (Un-)Zulässigkeit gängiger Wertungsmethoden, Vergabe Fokus 6/2016.
  3. Ferber. Vor- und Nachteile verschiedener Wertungssysteme, Vergabe Fokus 6/2016.
  4. Ferber. Das Rätsel „Preis-Leistungs-Verhältnis", Vergabe Navigator, Sonderheft 2016.
  5. Ferber. Was bedeutet „Preis-Leistungs-Verhältnis“ im Vergaberecht, blog.cosinex.de, 15.11.2016. 
  6. Ferber. Die Crux mit den Noten - Der Einfluss von Notenskalen auf das Zuschlagsergebnis, Vergabe Navigator, Heft 6/2016.
  7. Ferber. 9 1/2 Thesen zum wirtschaftlichsten Angebot, blog.cosinex.de, 22.6.2016. 
  8. Ferber. Ein neuer Begriff von Wirtschaftlichkeit, Vergabe Navigator, Heft 3/2016, S. 5-10.
  9. Ferber. Wie man Äpfel mit Birnen vergleicht – oder die Renaissance der UfAB II?, 21.1.2016
  10. Ferber. Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren, (ISBN 978-3-8462-0471-9), 10/2015 Bundesanzeiger Verlag.

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