Freitag, 2. Juni 2017

Was sind eigentlich Alibi-Kriterien im Vergabeverfahren?

Da bei einer Bewertung von Preis und Leistung die Angebotspreise in Euro vorliegen und die Leistungsstärke der Angebote in Leistungspunkten, stellt sich die Frage, welches Mehr an Leistung welches Mehr an Preis rechtfertigt. Um dies objektiv beantworten zu können, muss das Preis-Leistungs-Verhältnis durch eine mathematische Formel, die Zuschlagsformel einer Bewertungsmethode, dargestellt werden. Die Zuschlagsformel berücksichtigt die Angebotspreise in Euro sowie die Leistungsstärke (z.B. bei einer Ausschreibung von Schulungsleistungen: Schulungskonzept, Erfahrung des Referenten, Qualifikation des Referenten, etc.) der Angebote in Leistungspunkten und ermittelt daraus eine Kennzahl, die die Wirtschaftlichkeit (Preis-Leistungs-Verhältnis) des Angebots repräsentiert.

Ein Zuschlagskriterium, das letztendlich keine Auswirkung auf die Zuschlagsbewertung hat, wird als Alibi-Kriterium bezeichnet und kann zur Vergaberechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens führen. Dazu seien im Folgenden einige Beispiele betrachtet.

Beispiel 1:


Bei einer Ausschreibung von Schulungsleistungen soll neben dem Preis auch das Schulungskonzept bewertet werden. Für die Bewertung des Schulungskonzepts wird aber eine sehr grobe Notenskala mit nur wenigen Bewertungsstufen (z.B. 0, ..., 3) angewendet. Da die Schulungskonzepte der abgegebenen Angebote sich nur wenig unterscheiden, kann durch die grobe Notenskala der Unterschied zwischen den Angeboten nicht abgebildet werden. Durch die Unschärfe bei der Notenskala erhalten die Schulungskonzepte aller Angebote die gleiche maximale Punktzahl von drei.

Zur besseren Veranschaulichung kann die Angebotsbewertung bei den Bewertungsmethoden der Bewertungsklassen III und IV durch ein gewichtetes Preis-Leistungs-Diagramm dargestellt werden (Ferber, Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren, S. 119 ff.). Bei einem gewichteten Preis-Leistungs-Diagramm wird jedes Angebot durch eine Gerade dargestellt. Jedes Angebot hat einen Angebotspreis und erhält durch eine Bewertung auch eine Leistungspunktzahl. Die Leistungspunktzahl wird in die rechte senkrechte Achse (Leistungsterm) im gewichteten Preis-Leistungs-Diagramm eingetragen. Der Angebotspreis wird gemäß der durch die Bewertungsmethode vorgegebene Transformationsformel in Preispunkte umgerechnet. Die so ermittelte Preispunktzahl wird in der linken vertikalen Achse (Preisterm) eingetragen. Die beiden Punkte werden durch eine Gerade verbunden und stellen das Angebot dar. Für die Bestimmung der Kennzahl (Gesamtpunktzahl) besteht ein sehr anschaulicher geometrischer Zusammenhang: Bewegt man den „Gewichtungsregler“ auf der horizontalen Achse, kann man die Gesamtpunktzahl direkt am Schnittpunkt der Messskala mit den Angebotsgeraden ablesen. Je nachdem, wie sich die Gewichtung zwischen Preis und Leistung ändert, steigt bzw. sinkt die erreichte Punktzahl in der Gesamtwertung.

Wie man im Preis-Leistungs-Diagramm in Abbildung 1 sehen kann, ist das Zuschlagskriterium Schulungskonzept im betrachteten Beispiel zum Alibi-Kriterium degradiert. Da beide Angebote durch die zu grobe Notenskala die gleiche Punktzahl für das Schulungskonzept erhalten, wird der Zuschlag unabhängig von der Gewichtung nur aufgrund des Preises entschieden.

Abbildung 1



Beispiel 2:

Auch bei einer wesentlich differenzierteren Notenskala mit z.B. (0, 1, 2, ..., 15) Punkten kann es zu dem Phänomen der Alibi-Kriterien kommen, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Zuschlagskriterium Schulungskonzept von allen Angeboten in den Notenstufen gut bis sehr gut und damit mit 10 bis 15 Punkten bewertet werden wird, und das Schulungskonzept aber nur sehr schwach (z.B. 10%) gewichtet wird.

Wie man in der folgenden Abbildung des Preis-Leistungs-Diagramms sehen kann, ist das Zuschlagskriterium Schulungskonzept auch in diesem Fall zum Alibi-Kriterium degradiert. Beide Angebote erhalten zwar eine deutlich unterschiedliche Punktzahl für das Schulungskonzept, aufgrund des geringen Gewichts der Leistungsstärke (hier Schulungskonzept) von 10% wird der Zuschlag vorhersehbar nur aufgrund des Preises entschieden.

Abbildung 2


Beispiel 3:


Unter Anwendung einer differenzierten Notenskala mit z.B. (0, 1, 2, ..., 15) Punkten und Zuschlagskriterien, bei denen auch eine unterschiedliche Bewertung zu erwarten ist, sowie einem angemessenen Verhältnis der Gewichtung von Preis und Leistung kommt es nicht zum Phänomen der Alibikriterien.

Abbildung 3


Eine Änderung in Preis und/oder Leistungstärke der Angebote kann dann zu einer Änderung der Zuschlagsentscheidung führen.

Abbildung 4


PRAXISTIPP

Ein Kriterium, das von allen Bieterangeboten eingehalten werden muss, um ein vernünftiges Angebot abzugeben, eignet sich besser als reines Ausschlusskriterium und sollte nicht als Bewertungskriterium mit einer Gewichtung versehen werden.

Beispiel 4:

Auf der anderen Seite stellt eine sehr geringe Gewichtung eines Zuschlagskriteriums nicht per se ein Alibi-Kriterium dar. Beim Vorliegen einer geringen Preisdifferenz bei den Angeboten und einer kleinen Gewichtung der Leistungsstärke führen große Unterschiede bei der Leistungsstärke der Angebote dazu, dass die Zuschlagsentscheidung nicht nur vom Preis abhängt und damit kein Alibi-Kriterium vorliegt.

Abbildung 5


HINWEIS

Eine sehr geringe Gewichtung eines Zuschlagskriteriums stellt nicht per se ein Alibi-Kriterium dar und ist weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium für ein Alibi-Kriterium.

Fazit

Unter Anwendung einer ausreichend differenzierten Notenskala mit z.B. (0, 1, 2, ..., 15) Punkten oder (0, 1, 2, ...,10) Punkten und Zuschlagskriterien, bei denen auch eine unterschiedliche Bewertung zu erwarten ist, sowie einem angemessenen Verhältnis der Gewichtung von Preis und Leistung kommt es nicht zum Phänomen der Alibikriterien. Auf der anderen Seite stellt eine sehr geringe Gewichtung eines Zuschlagskriteriums nicht automatisch ein Alibi-Kriterium dar. Hier hängt es vielmehr von der angewendeten Notenskala und der zu erwartenden Bandbreite der Angebote ab, ob ein Alibi-Kriterium vorliegt.

Seminar Wertungskriterien und Bewertungsmatrizen

Am 22.06.2017 findet in Hamburg im Le Méridien das Seminar Wertungskriterien und Bewertungsmatrizen aus der Seminarreihe Praxisratgeber Vergaberecht statt.



Das Seminar behandelt die Besonderheiten der Bewertungskriterien und Bewertungsmatrizen in Vergabeverfahren und basiert auf dem Standardwerk zum Thema Bewertungssysteme im Vergaberecht (Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren):



  • Welche Kriterien sind neben dem Preis möglich und erlaubt? 
  • Transparenzgebot 
  • Die richtigen Kriterien finden, Wirtschaftlichkeit der Angebote 
  • Ausschlusskriterien, Bewertungskriterien, 
  • Gewichtung von Kriterien 
  • Preis-Leistungs-Verhältnis
  • einfache Richtwertmethode, erweiterte Richtwertmethode, gewichtete Richtwertmethode 
  • Mittelwertmethode, Medianmethode, Referenzwertmethode 
  • Interpolationsmethoden, Preisquotientenmethode
  • Vor- und Nachteile, Besonderheiten der verschiedenen Methoden, Störanfälligkeit und Stabilität der Methoden 
  • Erstellen von Bewertungsmatrizen, Notenskalen 
  • Vermeiden von Komplexität, Analyse von Bewertungsmatrizen 
  • Auswertung mit Hilfe von Bewertungsmatrizen 
  • Rechtsprechung Beispiele und Tipps für die Praxis 













Die Buch- und Seminarreihe "Praxisratgeber Vergaberecht" versteht es, das Thema Vergaberecht aus dem Paragrafendschungel zu befreien und anschaulich und realitätsbezogen darzustellen. Wer den Praxisbezug dieses eher trockenen Themas sucht, findet ihn hier.

Die Vorteile der Seminarreihe Praxisratgeber Vergaberecht:
  • anschauliche und realitätsbezogene Darstellung
  • aktuelle Beispiele und Tipps aus der Praxis
  • kleine Gruppen mit maximal 10 Teilnehmern
  • Zeit für Ihre Fragen und Diskussionen
  • umfangreiche Seminarunterlagen als PDF


Weitere Informationen zum Seminar und die Möglichkeit zur Anmeldung:

http://praxisratgeber-vergaberecht.de/seminar-bewertungsmatrizen.html

 

Termine:
22.06.2017 in Hamburg
29.06.2017 in Darmstadt
14.09.2017 in Stuttgart
21.09.2017 in Berlin
28.09.2017 in Köln 
26.10.2017 in Darmstadt
14.12.2017 in Darmstadt

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