Mittwoch, 27. Februar 2013

Schwellenwertberechnung - Bauauftrag oder Lieferauftrag?

Die sorgfältige, objektive, realistische  und nachvollziehbare Schätzung des Auftragswertes ist von zentraler Bedeutung für die Vergabevorbereitung. Der öffentliche Auftraggeber muss das beabsichtigte Vergabeverfahren nur dann nach dem Vergaberecht gemäß GWB durchführen, falls die Schätzung des Auftragswertes gemäß § 3 VgV den Schwellenwert gemäß § 2 VgV erreicht oder übertrifft. Dabei werden alle Werte ohne Umsatzsteuer betrachtet.

Siehe dazu auch den Beitrag  Vergaberecht - Schätzung des Auftragswertes.

Doch sind bei der Schätzung des Auftragswertes (Schwellenwertberechnung) einige Besonderheiten zu beachten. Da die Schwellenwerte von Bauaufträgen und Liefer-/Dienstleistungen unterschiedlich hoch sind, ist die richtige Einordnung des Auftragsgegenstandes von besonderer Wichtigkeit. Eine falsche Einordnung einer Ausschreibung als Bauauftrag mit einem aktuellen Schwellenwert von 5.000.000 Euro obwohl der Auftragsgegenstand richtigerweise als Liefer-/Dienstleistung mit einem Schwellenwert von 200.000 Euro einzuordnen gewesen wäre, kann schwerwiegende Konsequenzen im Vergabeverfahren haben.

Im folgenden sind einige Entscheidungen der Vergabekammern aufgeführt:

 

Elektrotechnische/elektronische Anlagen können Bestandteil von Bauleistungen sein.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.05.2010 - Verg W 15/09
Ausgeschrieben wurden Richtfunkstationen als einem besonderen Zweck dienende Bauwerke. Die Ausrüstung mit der entsprechenden Technik gehört dann auch zur Hauptleistung, weil sie notwendig ist, die Hauptleistung „betriebsbereite Richtfunkstation“ zu erbringen. Diese Leistungen fallen deshalb auch unter die VOB/A, weil die vertragsbezogene Funktionsfähigkeit der 26 Richtfunkstationen als Bauwerke nur mit diesen Leistungen erreicht werden kann.[..]
Elektrotechnische/elektronische Anlagen fallen nach den amtlichen Erläuterungen zu § 1 VOB/A nur dann nicht unter die VOB/A, sondern unter die VOL/A, soweit sie nicht zur Funktion einer baulichen Anlage erforderlich ist. Nur die Lieferung maschineller Einrichtungen und/oder elektrotechnischer Anlagen, die nicht notwendig gebäude-funktionsbezogen sind, zählen zu den Lieferungen und Leistungen der VOL (Messerschmidt in: Motzke/Pietzker/Prieß, VOB Teil A, Rn. 12 zu § 1). Da hier die Funktion des Bauwerkes „Richtfunkstation“ darin besteht, Richtfunkverbindungen herzustellen, ist die (technische) Richtfunkanlage zur Erfüllung der Funktion des Bauwerkes Richtfunkstation erforderlich.


Die Wartung der Straßenbeleuchtungen stellt einen Dienstleistungsauftrag dar.
VK Berlin Beschluss vom 26.04.2011 VK B 2 - 3/11
Zur Ausführung eines Bauvorhabens zählen alle Arbeiten, die für ein Bauwerk oder an einem solchen erbracht werden, wie sie sich zum Beispiel aus dem "Verzeichnis der Berufstätigkeit im Baugewerbe entsprechend dem Allgemeinen Verzeichnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft (NAGE)" ergeben, das als Anhang 1 Bestandteil der Vergabekoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG) geworden ist. Hieraus hervorgegangen ist das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV), das inzwischen in der Version 2008 vorliegt. Zu den dort aufgeführten Bauarbeiten zählt die „Installation von Straßenbeleuchtungsanlagen" (CPV Code 45316110-9, ABI. EU v. 15.3.2008 L 74/161 ). Unter CPV Code 5023000-6 „Reparatur, Wartung und zugehörige Dienste in Verbindung mit Straßen  und anderen Einrichtungen" wird dagegen die „Wartung von öffentlichen Beleuchtungseinrichtungen und Verkehrsampeln" (CPV Code 50232000-0) sowie „Wartung von Straßenbeleuchtungen" (CPV Code 50232100-1) ausdrücklich genannt. [..] Darauf, ob die Straßenbeleuchtung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) BerlStrG zum Straßenkörper gehören, kommt es entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners nicht an. Denn nicht jede Arbeiten an einer Straße sind zwangsläufig als Bauarbeiten anzusehen. Insbesondere dürfte die Straßenreinigung schwerlich als Bauleistung einzustufen sein, nur weil sie am Straßenkörper durchgeführt wird.


Instandhaltungsmaßnahmen mit nur geringfügig substanzeingreifender Wirkung sind keine Bauleistungen
VK Berlin VK B 2 - 12/09

Die "Instandhaltung und Reparatur" wird hingegen den Dienstleistungen zugeordnet. Das deckt sich mit dem gewachsenen Verständnis der Bauleistungen gemäß § 1 VOB/A. Danach sind Bauleistungen Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlagehergestellt, instand gehalten, geändert oder beseit
igt wird. Zwar bewertet die Vorschrift ausdrücklich die Instandhaltung als Bauleistung, doch ist insofern für die Abgrenzung zur Dienstleistung maßgeblich, ob es zu (nennenswerten) Eingriffen in die Bausubstanz kommt. Unterschieden wird zwischen reinen Instandhaltungen als Maßnahmen zur Erhaltung des zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands (Sollzustands) und Instandsetzungen als Maßnahmen zur Wiederherstellung des Sollzustands. Reine Instandhaltungsmaßnahmen wie Reinigung, Pflege, Wartung oder die Beseitigung von Verschleißerscheinungen bzw. kleineren Schäden werden nach allgemeinem Verständnis aufgrund ihrer nicht oder nur sehr geringfügig substanzeingreifenden Wirkung nicht als Bauleistung qualifiziert (Weyand, ibr-online-Komm. Vergaberecht, § 99 GWB, Rn 1154).


Die Wartung von Brandmeldeanlagen und der Austausch der Meldegeräte sind keine Bauleistungen. 
OLG Düsseldorf Beschluss vom 14. April 2010  VII-Verg 60/09
Weder die Wartung der Brandmeldeanlage noch die Auswechslung der Meldegeräte unterfallen danach dem Begriff von Bauleistungen (oder -arbeiten). Hinsichtlich der Wartung wird dies von den Verfahrensbeteiligten selbst gar nicht erst diskutiert; es handelt sich um eine Dienstleistung. Aber auch der Austausch der Brandmelder stellt eine reine Dienstleistung dar (möglicherweise freilich auch eine Warenlieferung, was aber dahingestellt bleiben kann). Denn dabei geht es nicht um eine Herstellung, Instandsetzung oder Änderung des Bauwerks oder von Teilen davon (der Feuermeldeanlage), sondern um ein bloßes Auswechseln der Meldeapparaturen.
Die Lieferung und Montage von Küchengeräten kann eine Bauleistung darstellen.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2005 VK 20/05
Bei der Lieferung und Montage der Küchengeräte handelt es sich um eine Bauleistung im Sinne von § 1 VOB/A, da die ausgeschriebenen maschinellen Anlagen und Anlagenteile für den bestimmungsgemäßen Bestand der baulichen Anlage bzw. für ein funktionsfähiges Bauwerk - hier Mensa - erforderlich und von wesentlicher Bedeutung sind. Es handelt sich bei der ausgeschriebenen Leistung um einen Bauauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, 3 GWB. 

Die Neubeschaffung eines Planetariumsprojektionssystems ist ein Bauauftrag.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2012 - Verg W 2/12
Maßgeblich für die Frage, welche Leistungen zu einem Bauwerk gehören, ist die Erfüllung der wirtschaftlichen oder technischen Funktion der gesamten Maßnahme. Wird ein Gebäude zu einem bestimmten Zweck errichtet, gehören damit alle Leistungen zu dem Bauwerk, die es erst funktionsfähig machen (vgl. Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 99 Rn. 1689). Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Neuerrichtung eines Planetariums und die Beschaffung aller seiner Bestandteile einschließlich der Projektortechnik als Bauauftrag zu betrachten wären [.. ]. Denn zu Bauleistungen zählen auch die Lieferung und Montage der für die bauliche Anlage erforderlichen maschinellen und elektrotechnischen und elektronischen Anlagen und Anlagenteile (Weyand, a. a. O., § 99 Rn. 1704). [.. ]
Jedoch fallen auch die Ergänzung und der Neueinbau von Anlagen nach Ausbau von alten Anlagen in ein bestehendes Gebäude unter den Begriff der Bauleistung, wenn sie für den bestimmungsgemäßen Bestand der baulichen Anlage bzw. für ein funktionsfähiges Bauwerk erforderlich und von wesentlicher Bedeutung sind (BayObLG, Beschluss vom 23.7.2002, Verg 17/02, VergabeR 2002, 662, zitiert nach Juris Rn. 7). Entscheidend ist, dass das Gebäude ohne die Anlage noch nicht als vollständig fertig anzusehen wäre, wenn es neu errichtet würde. Es muss denknotwendig für die Funktionsfähigkeit des Bauwerks erforderlich sein (Ingenstau/Korbion/Vygen/Kratzenberg, VOB A und B, 17. Aufl. 2010, § 1 Rn. 45).
Das vorhandene Gebäude ist als Gebäudehülle allein nicht als Planetarium nutzbar, es wird erst dadurch ein Planetarium, dass eine Projektionstechnik vorhanden ist, die auf der Kuppel den Sternenhimmel abbildet. Wird die vorhandene Technik ausgebaut, ist das Gebäude für seine Zweckbestimmung nicht mehr nutzbar. Das Projektionssystem und die Kuppel des Gebäudes bilden funktionell eine Einheit. Wird eines dieser beiden Elemente entfernt, wird das andere funktionslos.
[.. ] Dies führt dazu, den vorliegenden Auftrag als Bauauftrag anzusehen.


Weitere Details zum Thema Schätzung des Auftragswertes (Schwellenwertberechnung) bietet das Seminar Praxisratgeber Vergaberecht - Schätzung des Auftragswertes.

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