Dienstag, 12. März 2013

Unverzüglichkeit einer Rüge

Ein erkannter Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren muss unverzüglich gerügt werden.

§ 107 Abs. 3, Nr. 1 GWB            
Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat,    

Doch was bedeutet unverzüglich? Allgemein gesprochen, bedeutet dies in der Regel eine sehr kurze Rügefrist. Eine einheitliche Aussage innerhalb welcher Frist eine Rüge auszusprechen ist,  gibt es leider nicht. Die Vergabekammern kamen hier zu unterschiedlichen Entscheidungen. Zum Beispiel:
  • das OLG Koblenz und das OLG München vertreten in ihren Entscheidungen Regelrügefristen von ein bis drei Tagen, 
  • das OLG Brandenburg vertritt Regelrügefristen von drei bis fünf Tagen und nur bei überschaubaren und einfach zu bewertenden Sachverhalten eine Rügefrist von ein bis drei Tagen,
  • das OLG Rostock sieht Rügefristen von fünf Werk- bzw. sieben Wochentagen nach Zugang der Verdingungsunterlagen als unbedenklich an,
  • das OLG Naumburg geht von bis zu fünf Tagen im Regelfall aus und billigt den Bietern in schwierigen Sach- und Rechtslagen einen maximalen Zeitraum von zwei Wochen zu.

Entscheidungen

OLG Naumburg 1 Verg 22/04 
Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn der Antragsteller von ihm erkannte (vermeintliche) Vergabefehler nicht unverzüglich i. S. v. § 121 Abs. 1 BGB, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, gegenüber der Vergabestelle rügt, § 107 Abs. 3 S. 1 GWB. Dem Bieter wird nach dem Erkennen des Vergabefehlers ein gewisser Zeitraum – je nach Lage des Einzelfalls bis zu fünf Tage, in Fällen schwieriger Sach- und Rechtslage ein Zeitraum von maximal zwei Wochen – zugebilligt, innerhalb dessen er Gelegenheit hat, die Sach- und Rechtslage zu überprüfen und zu entscheiden, ob und ggfs. mit welchen konkreten Formulierungen eine Rüge erhoben werden soll. [..] Der Begriff „unverzüglich“ ist dabei im Sinne des § 121 BGB auszulegen, die Rüge muss also ohne schuldhaftes Zögern erfolgen [..]. In der Regel führt dies zu einer sehr kurzen Rügefrist.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.05.2000, Verg. 1/00
Demzufolge hatten die Antragsteller unter Berücksichtigung der für Prüfung und Begründung der Rüge notwendigen Zeit so bald gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, als es ihnen nach den Umständen möglich und zumutbar war. "Unverzüglich" ist also nicht gleichbedeutend mit "sofort", zumal den Betreffenden außer der eigentlichen Prüfung und Erarbeitung der meist schriftlich erklärten Rüge auch eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen ist, ob sie überhaupt zum "Angriff" übergehen. Bei einer Zeitbemessung, die auch die Interessen des Auftraggebers sowie die etwaigen besonderen Verhältnisse des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen hat, werden den Betreffenden in der Regel zwei Wochen (als Obergrenze) bis zur Erklärung der Rüge zu belassen sein.

OLG München  Beschluss vom 13.4.2007 - Verg 1/07
Unverzüglich bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Allerdings ist zu beachten, dass das gesamte Nachprüfungsrecht vom Gebot der besonderen Beschleunigung geprägt wird. Ohne das Vorliegen überdurchschnittlicher Schwierigkeiten ist deshalb von einer Regelrügefrist von ein bis drei Tagen auszugehen.

VK Kiel, Beschluss v. 12.6.2006 – VK-SH 12/06
Für eine unverzügliche Rüge im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gilt der Maßstab des § 121 BGB, wonach unverzüglich nur derjenige handelt, der dies „ohne schuldhaftes Zögern“ tut. Angesichts der kurzen Fristen im Vergaberecht muss die Rüge grundsätzlich binnen ein bis drei Tagen erfolgen [..]. Selbst unter Berücksichtigung des dazwischen liegenden Wochenendes und des Feiertages am 1. Mai [..] ist die Rüge [..] (nach 5 Werktagen beziehungsweise 8 Kalendertagen) unter Berücksichtigung der oben geschilderten Sachlage nicht mehr unverzüglich i.S.v. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfolgt, da die Sach- und Rechtslage eine Rüge jedenfalls binnen 3 Tagen erfordert hätte.

OLG Dresden, Beschluss v. 6.4.2004 – WVerg 1/04
Der Senat weist in diesem Zusammenhang zum wiederholten Male darauf hin, dass die Rügefrist des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nach seiner ständigen Rechtsprechung jedenfalls nicht in der Regel zwei Wochen beträgt [..]. Die Ausschöpfung dieses Zeitraums ist vielmehr - seltenen - Ausnahmefällen vorbehalten, in denen eine exzeptionell schwierige Sach- oder Rechtslage umfangreichen Prüfungs- und ggf. externen Beratungsbedarf des Bieters verursacht und dieser Klärungsprozess auch unter Berücksichtigung der gebotenen Beschleunigung unter zwei Wochen nicht zumutbar abgeschlossen werden kann. Umgekehrt wird die überaus strenge Auffassung des OLG Koblenz [..] i. S. einer generellen Fristbemessung als zu eng zu erachten sein; gleichwohl mag bei - auch und gerade aus Sicht des Bieters - einfach gelagerten Fällen auf der Hand liegender Vergabeverstöße selbst eine derart kurze Frist angemessen sein, weil der Bieter dann keinen nennenswerten Aufwand bei der Prüfung des Fehlers betreiben, sondern lediglich seine Reaktion hierauf bedenken muss.

OLG Koblenz  18.9.2003  1 Verg 4/03
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats [..], dass angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, die Rüge grundsätzlich binnen ein- bis drei Tagen erfolgen muss [..]. Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (OLG Düsseldorf NZBau 2000, 45), kann einem Unternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert [..].

Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf, VK - 12/2006

Ob eine Rüge unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfolgt ist, ist anhand des Zeitraums zwischen der Erlangung der positiven Kenntnis von einem Vergaberechtsverstoß und dem Ausspruch der Rüge gegenüber der Antragsgegnerin zu beurteilen. [..] Drei Werktage sind einem Bieter nach Rechtsprechung und Literatur regelmäßig zugestanden, eine noch kürzere Frist wäre schlichtweg nicht mehr praktikabel.

OLG Brandenburg 20.3.2007 VergW 12/06Die von der Rechtsprechung unter Heranziehung von § 121 BGB im Einzelfall eingeräumte Frist von zwei Wochen ist eine Höchstfrist. Unverzüglich i. S. des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist die Rüge nur dann erhoben, wenn ohne schuldhaftes Zögern gerügt worden ist. Bei überschaubaren und einfach zu bewertenden Sachverhalten kann danach im Einzelfall eine Rügefrist von 1 bis 3 Tagen in Betracht kommen. In der Regel sind mindestens 3-5 Tage als Rügefrist einzuräumen. Hier ist, weil die Antragstellerin einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat, eine Frist von einer Woche noch gerechtfertigt.

OLG Rostock  6.3.2009  17 Verg 1/09
Die Rüge erfolgte somit innerhalb von 7 Wochentagen bzw. 5 Werktagen nach Zugang der Verdingunterlagen. Die Inanspruchnahme einer solchen Prüfungszeit begegnet keinen Bedenken.

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